Küßt ich ihn tot?
Allzu empfindsame Geister sollten sich das Folgende ersparen. Es berichtet von den letzten Momenten im Leben der Penthesilea, in der gleichnamigen Tragödie von Heinrich von Kleist. Hier gibt’s den Text im Rahmen des Gutenbergprojektes.
Im Krieg um Troja (etwa 1200 Jahre vor Christus), der mit dem Raub Helenas durch Paris begonnen und nach und nach die gesamte Ägäis in Mitleidenschaft gezogen hatte, kommen die Amazonen den von den Griechen bedrängten Trojern zu Hilfe. Dabei geht es nur scheinbar um Helena. Der wirkliche Grund dieses, fast könnte man sagen: dieses ersten Weltkrieges, ist ein wirtschaftlicher. Die Kontrolle über die Durchfahrt durch die Dadanellen und damit einer der wichtigsten Handlungswege dieser Zeit verspricht einen prosperierenden Staat, Reichtum und Wohlstand.
Mit Penthesilea, der Königin der Amazonen, und Achill, dem griechischen Helden schlechthin, treffen pars pro toto zwei Personen aufeinander, zwischen denen sich der dramatische Konflikt aufbaut. Die enorme Brutalität mit der er sich bei Kleist entlädt, ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass hier nicht nur zwei Menschen aufeinander stoßen, sondern andere, sehr viel machtvollere Umstände.
Es stoßen mit den Personen zwei Geschlechter aufeinander und zwei Herrschaftsstrukturen: Achill, als Inbegriff der Männlichkeit und nahezu unverletzlich – außer an seinen Fersen -, ist Vertreter des Patriachats, Penthesilea hingegen eine Vertreterin des Matriarchats, vielmehr der Gynäkokratie – der Herrschaft der Frauen -. Außerdem stoßen zwei Kulturstufen aufeinander, die Griechen bilden die Hochkultur unter den Völkern der Ägäis. Das Volk der Amazonen, das aus dem kleinasiatischen Raum stammt, aus dem Kaukasus, gehört hingegen zu den primitiven Völkern. Ohne Männer lebend, überfallen sie, um die Nachkommenschaft zu sichern, andere Völker, rauben deren Männer, zeugen Kinder mit ihnen und schicken deren Väter dann wieder zu ihren eigenen Völkern zurück. Die Jungen werden unmittelbar nach der Geburt getötet oder weggegeben, den Mädchen wird in der Pubertät eine Brust amputiert, damit sie mit Pfeil und Bogen umgehen können. Die individuelle Partnerwahl ist den Amazonen verboten. Eine Amazone muss einem Mann im Kampf begegnen. Wenn sie als Siegerin aus dieser Konfrontation hervorgeht, kann sie mit dem Besiegten tun was sie will. Und was die Amazonen von den Besiegten wollen, ist eindeutig: sie wollen sie lieben; sie wollen mit ihm schlafen. Diese Frauen wollen lieben und geliebt werden, aber die Gesetze lassen dies nicht zu. Liebe ist nur unter dem Patronat der Gewalt denkbar. Und das verstehen natürlich die Gegner im Kampf nicht, dass diese Frauen Gewalt anwenden, weil sie das Gegenteil davon wollen.
Die Mutter der Penthesilea hatte ihrer Tochter auf dem Totenbett prophezeit, dass sie sich in Achill verlieben werde. Damit steht Penthesilea an einer historischen Zäsur. Denn mit der Liebe, und mit der Sehnsucht nach einem bestimmten Liebesobjekt – also nicht mehr einem Mann, den der Zufall einer Amazone im Kampf zuführt – beginnt Penthesilea ihre Individualisierung. Schlafen kann man zur Not mit jedem, aber lieben kann man nicht jeden. „Ich sage vom Gesetz der Fraun, mich los und folge diesem Jüngling hier”, formuliert sie. Und sie zahlt den denkbar höchsten Preis dafür: sie bezahlt mit ihrem Leben.
Penthesilea weiß dass sie, sowie sie Achill begegnet, ihn lieben wird. Aber sie kennt das Gefühl der Liebe noch gar nicht. Es trifft sie dann auch mit unerhörter Gewalt. Es trifft sie auf eine Art, die man eher als eine männliche bezeichnen möchte: sie ist rasend vor Begierde. Sie will dieses Liebesobjekt mit aller Macht und Gewalt. Und die wendet sie an, um zum Ziel zu kommen: sie geht bei jeder Gelegenheit mit dem Schwert, dem Dolch und dem Bogen auf ihn los und am Ende sogar mit Hunden und Elefanten. Erst in der 15. Szene lässt sie davon ab, als sie einem Irrtum aufsitzend, sich als vermeintliche Siegerin im Zweikampf mit Achill wähnt. In dieser Situation sind jene Bedingungen erfüllt, die sie versteht: der Gewinn eines Mannes durch seine Überwindung. Sie erzählt Achill die Geschichte der Amazonen und spricht von ihrer Liebe. Sie schaut voll Neid auf die Liebeskultur der Griechen. Sie sehnt sich danach, eine weibliche Rolle zu beziehen und nicht länger mit den maskulinen Attributen ausgestattet zu sein.
Als Amazone, als Vertreterin ihres Volkes, muss sie Achill, um ihn lieben zu dürfen, unterwerfen. Als Liebende hingegen ist sie dem eigenen Gefühl unterworfen. Und gegen dieses Gefühl, das sich ja auf Achill bezieht, kann sie nicht ankämpfen. Diese einander widersprechenden Umstände bringt sie nicht zusammen. Sowie sie erkennen muss, dass sie einem Schein unterlegen und Achill der Sieger im Zweikampf gewesen ist, und sie Gefangene der Griechen, verliert sie vollständig die Kontrolle über sich und ihr weiteres Tun. Aus dem verlorenen Zweikampf schließt sie, dass sie auch Achill verloren hat.
Das Schicksal nimmt seinen unerbittlichen Lauf als die Amazonen ihre Königin aus den Händen der Griechen befreien und Penthesilea den Geliebten erneut verliert. Sie, die die Handlung bisher immer weiter getrieben hat und dem Liebesobjekt auf den Fersen (!) geblieben ist, erscheint mit einem Mal lethargisch und willenlos. Achill aber bietet ihr durch einen Boten die Wiederaufnahme des Kampfes an. Durch die Erzählung Penthesileas hat er verstanden, dass eine Amazone sich einen Mann erkämpfen muss. Und weil er auch verstanden hat, dass Penthesilea ihn liebt, und er sie seinerseits, stellt er sich, mit der Absicht zu unterliegen, dem erneuten Kampf. Aber Penthesilea, gerade erst durch den Schein getäuscht, zieht ihm mit dem ganzen „Schreckenspomp des Kriegs” entgegen. Und besiegt ihn. Nachdem sie Achill einen Pfeil durch den Hals geschossen hat, zerfleischt sie ihn auf bestialische Art und Weise.
Der Grund für diese furchtbare Entwicklung ist darin zu suchen, dass Penthesileas Selbstbild auseinander fällt. Deswegen legt sie erheblichen Wert auf jenes Bild, dass Achill von ihr hat. Als der in jener 15. Szene nach ihrem Namen fragt, geht sie gar nicht darauf ein. Erst als er ihr das Bild zurückspiegelt, das sie sie selbst hat, erst als er ihr dies Selbst bestätigt, nennt sie ihren Namen. Der Name ist ihr ebenso unwichtig wie ihre Funktion als Königin: sie fragt nach ihren Zügen, nach ihrer Eigenheit und nach ihrer Individualität.
Penthesilea weiß, dass, wenn sie untergeht, die Amazonen ihr folgen werden: „Der Tanäis Asche, streut sie in die Luft”: Tanäis war die Uramazone, die erste Königin. Mit dem Bruch gegenüber dem Vermächtnis und der Verpflichtung der Amazonen den althergebrachten Gesetzen gegenüber, geht dieses Volk unter. Sie weiß, dass sie, in mehrfacher Hinsicht, die Erste ihres Volkes ist. Die Amazonen sind das unterlegene Volk und das Matriarchat das unterlegene Herrschaftsmodell. Nicht, weil die Herrschaft der Frauen schlechter wäre als jene der Männer. Sondern weil die Widersprüche nicht vermittelbar waren: jene Widersprüche von männlich und weiblich, von Gewalt auf der einen und Liebe, Verständnis und Rücksichtnahme auf der anderen Seite, von Außen und Innen, von Selbst- und von Fremdwahrnehmung.
Ich zitiere die letzten Verse der Tragödie, und die letzten Worte im Leben der Amazonenkönigin. Verse, da Penthesilea erkennen muss, was sie im Rausch getan hat. Dieser letzte, der 24. Auftritt, ist äußerst ergreifend. Penthesilea taumelt, äußerlich wie innerlich. Sie sieht die Leiche des Achill, sie erkennt seine furchtbaren Verstümmelungen. Und sie will wissen, wer das getan hat, sie fordert Rechenschaft für dieses Tun. Sie weiß nicht, dass sie es selbst war: weil sie dieses Selbst nicht findet. Das ist ihr abhanden gekommen und sie muss es erst wiederherstellen. Diese Wiederherstellung ist zu verstehen als ein Zurückgewinnen ihrer Handlungsfähigkeit. Sie stellt ihr Selbst und ihr Selbstbild her, indem sie sich tötet. Und zwar, tatsächlich (!), mit nichts als ihren Worten. In vollkommener Übereinstimmung von Rede und Handlung erschafft sie ihr Selbst: indem sie sich, oder besser gesagt dieses Selbst, vernichtet.
Wir werden hier Zeugen der wunderlichen Bewusstwerdung einer Tat, der Anerkennung dieser Tat und dem anschließenden Suizid, der mit den Worten beginnt: „Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder”. Diese zehn Zeilen gehören sicher zum Besten, was die deutsche Dramatik zu bieten hat. Da spürt man etwas von der ungeheuren Macht der Sprache. Mehr als einem lieb sein kann.
Dramatis personae sind: Penthesilea, die erste Priesterin, die Oberpriesterin, Meore und die Freundin Penthesileas, Prothoe. Vor den Füßen der Frauen liegt der blutige Leichnam des Achill.
„PENTHESILEA
Was! Ich? Ich hätt ihn -? Unter meinen Hunden -?
Mit diesen kleinen Händen hätt ich ihn -?
Und dieser Mund hier, den die Liebe schwellt -?
Ach, zu ganz anderm Dienst gemacht, als ihn -!
Die hätten, lustig stets einander helfend,
Mund jetzt und Hand, und Hand und wieder Mund -?
PROTHOE
O Königin!
DIE OBERPRISTERIN
Ich rufe Wehe! Dir.
PENTHESILEA
Nein, hört, davon nicht überzeugt ihr mich.
Und stünds mit Blitzen in die Nacht geschrieben,
Und rief es mir des Donners Stimme zu
So rief ich doch euch beiden zu: ihr lügt!
MEROE
Laß ihn, wie Berge, diesen Glauben stehn;
Wir sind es nicht, die ihn erschüttern werden.
PENTHESILEA
Wie kam es denn, daß er sich nicht gewehrt?
DIE OBERPRISTERIN
Er liebte dich, Unseligste! Gefangen
Wollt er sich dir ergeben, darum naht‘ er!
Darum zum Kampfe fordert‘ er dich auf!
Die Brust voll süßen Friedens kam er her,
Um dir zum Tempel Artemis‘ zu folgen.
Doch du -
PENTHESILEA
So, so -
DIE OBERPRISTERIN
Du trafst ihn -
PENTHESILEA.
Ich zerriß ihn.
PROTHOE
O meine Königin!
PENTHESILEA
Oder war es anders?
MEROE
Die Gräßliche!
PENTHESILEA
Küßt ich ihn tot?
DIE ERSTE PRIESTERIN
O Himmel!
PENTHESILEA
Nicht? Küßt ich nicht? Zerrissen wirklich? Sprecht?
DIE OBERPRISTERIN
Weh! Wehe! ruf ich dir. Verberge dich!
Laß fürder ewge Mitternacht dich decken!
PENTHESILEA
- So war es ein Versehen. Küsse, Bisse,
Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,
Kann schon das eine für das andre greifen,
MEROE
Helft ihr, ihr Ewgen, dort!
PROTOE ergreift sie
Hinweg!
PENTHESILEA
Laßt, laßt!
Sie wickelt sich los, und läßt sich auf Knien vor der Leiche nieder.
Du Ärmster aller Menschen, du vergibst mir!
Ich habe mich, bei Diana, bloß versprochen,
Weil ich der raschen Lippe Herr nicht bin;
Doch jetzt sag ich dir deutlich, wie ichs meinte:
Dies, du Geliebter, wars, und weiter nichts.
Sie küßt ihn.
DIE OBERPRISTERIN
Schafft sie hinweg!
MEROE
Was soll sie länger hier?
PENTHESILEA
Wie manche, die am Hals des Freundes hängt,
Sagt wohl das Wort, sie liebt ihn, o so sehr,
Daß sie vor Liebe gleich ihn essen könnte;
Und hinterher, das Wort beprüft, die Närrin!
Gesättigt sein zum Ekel ist sie schon.
Nun, du Geliebter, so verfuhr ich nicht.
Sieh her: als ich an deinem Halse hing
Hab ichs wahrhaftig Wort für Wort getan;
Ich war nicht so verrückt als es wohl schien.
MEROE. Die Ungeheuerste! Was sprach sie da?
DIE OBERPRISTERIN
Ergreift sie! Bringt sie fort!
PROTHOE
Komm, meine Königin!
PENTHESILEA, sie läßt sich aufrichten.
Gut, gut. Hier bin ich schon.
DIE OBERPRISTERIN
So folgst du uns?
PENTHESILEA
Euch nicht.
Geht ihr nach Themiscyra, und seit glücklich,
Wenn ihr es könnt -
Vor allem meine Prothoe -
Ihr alle -
Und – - – im Vertrauen ein Wort, das niemand höre,
Der Tanäis Asche, streut sie in die Luft!
PROTHOE
Und du, mein teures Schwesterherz?
PENTHESILEA
Ich?
PROTHOE
Du!
PENTHESILEA
Ich will dir sagen, Prothoe,
Ich sage vom Gesetz der Fraun mich los,
Und folge diesem Jüngling hier.
PROTHOE
Wie, meine Königin?
DIE OBERPRISTERIN
Unglückliche!
PROTHOE
Du willst – ?
DIE OBERPRISTERIN
Du denkst -
PENTHESILEA
Was? Allerdings!
MEROE
Oh Himmel!
PROTHOE
So laß mich dir ein Wort, mein Schwesterherz -
Sie sucht ihr den Dolch abzunehmen.
PENTHESILEA
Nun denn, und was? – - Was suchst du mir am Gurt?
- Ja so. Wart, gleich. Verstand ich dich doch nicht.
- – Hier ist der Dolch.
Sie löst sich den Dolch aus dem Gurt, und gibt ihn Prothoe.
Willst du die Pfeile auch?
Sie nimmt den Köcher von der Schulter.
Hier schütt ich ihren ganzen Köcher aus.
Sie schüttet die Pfeile vor sich nieder.
Zwar reizend wär es, von einer Seite -
Sie hebt einige davon wieder auf.
Denn dieser hier – nicht? Oder war es dieser – ?
Ja, der? Ganz recht – Gleichviel! Da? Nimm sie hin.
Nimm alle die Geschosse zu dir hin.
Sie rafft den ganzen Bündel wieder auf, und gibt ihn Prothoe in die Hände.
PROTHOE
Gib her.
PENTHESILEA
Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder,
Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz,
Mir ein vernichtendes Gefühl hervor.
Dies Erz, dies läutr‘ ich in der Glut des Jammers
Hart mir zu Stahl; tränk es mit Gift sodann
Heizätzendem der Reue, durch und durch;
Trag es der Hoffnung ewgem Amboß zu,
Und schärf und spitz es mir zu einem Dolch;
Und diesen Dolch jetzt reich ich meine Brust:
So! So! So! So! Und wieder! – nun ists gut.
Sie fällt und stirbt.
PROTHOE, die Königin auffassend.
Sie stirbt!
MEROE
Sie folgt ihm, in der Tat!
PROTHOE
Wohl ihr! Denn hier war ihres fernern Bleibens nicht.
Sie legt sie auf den Boden nieder.
DIE OBERPRISTERIN
Ach! Wie gebrechlich ist der Mensch, ihr Götter!
Wie stolz, die hier geknickt liegt, noch vor kurzem,
Hoch auf des Lebens Gipfeln rauschte sie!
PROTHOE
Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte!
Die abgestorbne Eiche steht im Sturm,
Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder,
Weil er in ihre Krone greifen kann.”
Ich liebe dich, bin toll, verrückt, von Sinnen
Ich habe den Film „Cyrano von Bergerac“ in Bukarest gesehen, im französischen Original, mit englischen Untertiteln und dem großartigen Gérard Depardieu in der Hauptrolle des Cyrano. Am nächsten Morgen habe ich gleich das Buch, die Komödie von Edmond Rostand, gekauft und in einem Zug durchgelesen. Vorlesung geschwänzt und einfach den ganzen Tag gelesen. Gelesen und geheult. Ich habe mir in den Wochen darauf sicher noch ein Dutzend Mal den Film angeschaut. Das war ein Kino mit roten Vorhängen, die im letzen Moment vor dem Film weggezogen wurden und zerschlissenen Plüschsesseln, in die man metertief hinein sank.
Ich war neunzehn, im dritten Semester und hatte eine schwere Attacke Liebeskummer auszustehen, wegen eines Mannes, der ein Idiot war. Aber das wusste ich damals nicht. Damals habe ich nur geliebt. Irgendwie wusste ich es schon, aber ich habe ihn trotzdem geliebt. Oder vielleicht habe ich ihn sogar gerade deswegen geliebt, weil ihn ja nun einmal eine lieben musste. Wenn man liebt, dann kann man den Grund dafür nicht greifen.
Die Rolle der Roxane war mir, fand ich, auf den Leib geschneidert. Roxane, die geliebt werden will vom schönen Christian, der auch ein Idiot ist und keinen graden Satz herausbekommt. Aber Roxane will gerade dies: dass einer seine Liebe in Worte fasst. Die Sprachfähigkeit, die Sprachkompetenz, ist für sie ein Synonym für die Wahrhaftigkeit der Liebe. Dies ist ein Motiv aus dem Mittelalter, das der höfischen (und höflichen) Liebe, wo der Galan die angebetete Dame besingt (die eine geradezu kultische Ausprägung findet in der sagenumwobenen Aliénor von Aquitanien, Königin von Frankreich, spätere Königin von England und Mutter von Richard Löwenherz) und das in den Liedern der Troubadoure seinen Niederschlag findet. Bei Rostand nun wird dieses Motiv variiert und in die Neuzeit hinüber gerettet: Sprachfähigkeit und Liebesfähigkeit gehen ineinander über. Wer seine Liebe nicht in Worte zu fassen weiß, der liebt auch nicht. Liebe macht hier nicht, wie heutzutage, sprachlos. Im Gegenteil, sie versetzt den Liebenden in eine höhere Potenz. So ist es zu verstehen, wenn Cyrano sagt: „Ein jeder Blick von dir lässt eine Tat, lässt eine neue Tugend in mir reifen!”.
Roxane wird nun ihrerseits von Cyrano geliebt. Kein Idiot, ein Dichter, ein Poet, nur nicht gerade eine Schönheit, mit seiner monströsen Nase; ein Phantast dazu. Christian nun macht Roxane den Hof, redet aber – so sagt man das etwas flapsig heutzutage – nur Dünnschiss. Dann kommt Cyrano hinzu und souffliert für den schönen Nebenbuhler. Weil er Roxane wirklich liebt und weil ihm das egal ist, wenn ein anderer- der Idiot Christian – Kapital draus schlägt. Es geht ihm einzig darum, seine Liebe in Worte zu fassen.
Die beiden Männer stehen im Dämmerlicht unter Roxanes Balkon, Roxane sieht Christian, aber Cyrano ist derjenige, der spricht.
„Roxane: Und kommt die Zeit, in was für Worten dann
Wird sich Ihr Herz ergehen?
Cyrano: In allen, allen
Die mich in bunter Wildheit überfallen,
Bevor ich sie zum Sträußchen binden kann:
Ich liebe dich, bin toll, verrückt, von Sinnen,
Zum Glockenspiele machtest du mein Herz
Und weil es bebt in Sehnsucht und Frohlocken
Drum tönt dein Name laut von allen Glocken.
Nichts, was die Liebste tut, kann mir entrinnen:
Du trugst vergangnes Jahr am neunten März
Anders dein Haar geordnet als am achten.
Entschwindet mir’s, dann scheint der Tag zu nachten.
Wer sich zu lange der Sonne zugewendet,
der sieht ein goldnes Rund in allen Ecken,
und ich, von deiner Locken Glanz geblendet,
Gewahre, fern von dir, rings blonde Flecken.
Roxane (mit bewegter Stimme): Ja, das ist Liebe …
Cyrano: Dies Gefühl, das mich
Hinreißt in Eifersucht und Leidenschaft,
Ist wahrlich Liebe, hat die Qual und Kraft,
Der Liebe – und verlangt doch nichts für sich.
Mein Heil, ich gäb’ es für das deine gern,
Und ewig bliebe dir mein Tun verschwiegen;
Den Abglanz nur möchte ich erspähn von fern
Des Glücks, das meinem Opfer wär’ entstiegen!-
Ein jeder Blick von dir lässt eine Tat,
lässt eine neue Tugend in mir reifen!
Verstehst du nun? Beginnst du zu begreifen,
Daß durch die Nacht dir meine Seele naht?
O süße, süße Nacht! O holdes Werben!
Dies alles sag ich, und sie lauscht mir, sie!
Das ist zu viel. So hoch verstieg sich nie
Mein kühnstes Hoffen. Könnt ich jetzt nur sterben!
Die Liebeskraft, die meinen Worten eigen,
lässt Sie dort zittern zwischen blauen Zweigen!
Ja, ja, sie zittert wie das Laub im Wind!
Du zitterst! Und am leisen Blätterweben
Spür ich, wie deiner Hände süßes Beben
leicht am Jasmingeranke niederrinnt.
(Er küsst leidenschaftlich das Ende eines herabhängenden Zweiges)
Roxane: Geliebter, ja, ich zittre, bin entflammt
Und bin berauscht.
Cyrano: O göttlicher Genuß,
dass dieser Rausch, mir, mir allein entstammt!
Nichts anderes fordre ich mehr als …
Christian (unter dem Balkon) Einen Kuß!
Roxane (zurückprallend) Wie?
Cyrano: Oh?!
Roxane: Sie fordern?
Cyrano: Ich …”
Und schon ist’s vorbei mit der Sprache der Liebe. Dieser verdammte Idiot Christian! Dieser Kretin! Mein eigener Idiot damals hieß Catalin.
Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
geschehn aus unablässigem Bestreben.
Aléa hat’s hierher gestellt,
und zwar soeben.