Archiv vom Juli, 2015
22 Juli 2015
Literatur 2.0: Was sind literarische Blogs?
Ich kann die Frage nicht beantworten, weil ich keine kenne. Ich kenne Blogs, deren Betreiber sich mit Literatur beschäftigen und darüber schreiben. Und nicht wenige schreiben nicht darüber – sie erheben sich nicht über den Gegenstand ihrer Betrachtung –, sondern darunter. Aber sind das literarische Blogs? Ich kenne auch einen, der seinen Laptop links mit einem Band Kafka und rechts mit einem gleichdicken von Tolstoi unterfüttert und der solchermaßen ein sehr ausgewogenes Projekt betreibt. Aber ist das ein literarisches Blog? Es tut sich unglaublich viel im Web 2.0. In der Literatur 2.0 hingegen tut sich wenig. Da werden die kleinsten Erschütterungen – Blogger schreiben jetzt, statt ausgewiesener Literaturkritiker, Rezensionen – als Erdbeben verkauft. Dabei sind viele Literaturkritiker längst keine mehr. Und viele Blogger haben jene Ausbildung, die einst die Literaturkritiker hatten: sie haben an den entsprechenden Fachbereichen studiert. Aber reicht das als Kriterium aus, wenn das gedruckte Feuilleton in Teilen von webbasierten Blogs übernommen wird, um als literarisches Blog zu firmieren?
Ist das ein literarisches Blog, wenn jemand das als sein persönliches Journal, eine Art Tagebuch, betreibt, interessengeleitet und an der Literatur orientiert natürlich? Literatur ist, was das Kriterium der Fiktionalität erfüllt. Und das gilt auch für Blogs. Es sollte gelten. Im Deutschlandradio gibt es ein Feature “Im Netz ist jeder Leser ein Kritiker”, (hier zum Nachlesen und hier zum Nachhören) am kommenden Freitag, den 24. Juli, um 19.30. Auch ich finde in dieser Sendung Erwähnung. Vielmehr finde ich die Erwähnung nicht, sondern ich erwähne mich selbst. Die Literaturkritikerin Sieglinde Geisel, die unter anderem für die NZZ schreibt, hat Interviews mit Literatur-Bloggern geführt und daraus eine Sendung zusammengestellt.
Ich verstehe mich gar nicht als Blogger. Ich habe einige Zeit gebloggt, weil es Teil dieser Konstruktion um Aléa Torik war, die über Fiktionalität promoviert, ein Blog führt und einen metafiktionalen Roman schreibt, der all das in Frage stellt und dabei die Rolle der Fiktion beleuchtet. Und da das Projekt abgeschlossen ist, ist auch dieses Blog inzwischen mehr oder weniger stillgelegt. So wie ich mich jahrelang mit einem Blinden identifiziert habe, um mit Das Geräusch des Werdens einen Roman über Blindheit schreiben zu können, habe ich das mit einer Migrantin aus Rumänien getan: um mit Aléas Ich einen Roman darüber zu schreiben. Inzwischen bin ich längst auf anderen Feldern unterwegs.
Die Überschrift dieses Artikels ist falsch. Man müsste nicht nach der Sache, sondern nach dem Ort fragen: Wo sind literarische Blogs? Aber die Frage nach dem Ort im Netz ist sinnlos, weil das Netz, da es überall ist, keine Orte mehr zulässt. Es müsste also heißen: Wie sind literarische Blogs? Und die Antwort lautet: hoffentlich nicht real, sondern fiktional. Und wenn das nicht hinhaut, dann wenigstens fiktionalisierend.
Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
geschehn aus unablässigem Bestreben.
Aléa hat’s hierher gestellt,
und zwar soeben.
Thema Der Sache nach | Eintrag von Aléa Torik | um 15:43 eingtragen | Kommentare: 2 | Kommentieren