07 September 2014
Weil die Euphorie kein Zustand ist, der lange auszuhalten ist
Das neue Manuskript – eine Novelle: eine unerhörte Begebenheit – ist gerade abgeschlossen. Es hat also jenen Zustand erreicht, dass ich damit rundum zufrieden bin. Und das bin ich nur, wenn ich eine Steigerung gegenüber dem Vorgänger erkennen kann. Obwohl Manuskripte den Zustand der Abgeschlossenheit nie erreichen. Sie erreichen mehrfach jenen Punkt, an dem sie aufhören, sich zu bewegen. Dieses Manuskript wird sich erst wieder bewegen, wenn ein Lektor sich seiner annimmt und anfängt mich zu ärgern, herauszufordern, zu verbessern, zu belehren, zu loben und zu lobhudeln. Dieser Text sollte anfangs nur ein Zwischenspiel werden, hat sich dann aber über ein Jahr hingezogen – weil man dieses ‘abschließen’ in gewisser Weise nicht betreiben kann, man kann nur dasitzen, arbeiten und hoffen – und aus dem Interludium wurde eine halbe Oper.
Der eine Notenberg ist gerade vom Tisch, da ist schon ist der nächste da. Und das mit ungeahnter Wucht: mein Europa-Projekt. Ich habe zwei Romane über Deutschland und Rumänien geschrieben, eine Novelle, in der der Raum ausgeklammert ist und die Zeit die Hauptrolle spielt und jetzt schreibe ich einen Roman über Europa. Ich kann mich vor Ideen kaum retten. Als wenn alles andere bloß Vorarbeiten gewesen wären, um mich in den Stand zu versetzen, mit dem neuen Stoff zu Rande zu kommen. Mich vielmehr über seinen Rand hinauszuwagen. Ich bin geradezu euphorisch. Das wird sich auch wieder legen. Es wird sich legen müssen, weil die Euphorie kein Zustand ist, der lange auszuhalten ist. Es werden wieder andere Zeiten kommen, wo ich nicht weiß, wohin ich mich wenden soll. Auch das gehört dazu: innehalten, rat- und richtungslos. Derzeit aber kann ich mich in jede Richtung wenden, es geht überall weiter.
Und dennoch macht‘s auch Sorgen. Ich bin gar nicht mehr in der Lage, etwas anders zu tun, als zu schreiben. Mir beispielsweise einen Job zu suchen und etwas für meinen Lebensunterhalt zu tun, für meinen Lebenserhalt. Für die Altersvorsorge. Etwas Vernünftiges. Auch Kafka hat vernünftige Dinge getan. Und hat‘s dann drangegeben. Das Schreiben ist, einmal drin in diesem reißenden Fluss, ersäufend. Wie soll man sich um sein Alter Sorgen machen, wenn man nicht einmal weiß, ob man nicht schon morgen mausetot am Ufer liegt? Man schreibt immer auch gegen den Tod. Als könnte man mit Worten etwas aufhalten, zumindest verlangsamen. Man kann es das künstlerische Potential nennen, das einer und eine mit sich herumschleppt, ohne allerdings sein Gewicht zu bemerken. Meine Kreativität ist die Reaktion auf Umstände, denen ich begegne – die ich mir begegnend mache – und auf die ich nicht anders reagieren kann, als sie in irgendeiner Weise zu bearbeiten, zu verändern und ihnen etwas abzugewinnen – oder nicht abzugewinnen, sondern wegzunehmen, vielleicht ist das ominöse, sogenannte Poetische kein ‚Mehr‘, sondern ein ‚Weniger‘ -, das sie zur Literatur macht. Ich kann es letztlich nicht verstehen, mit welcher Entschlossenheit mein, sagen wir Unbewusstes sich über mich erhebt und mich zum Schreiben zwingt. Aber es ist befreiend. Ich weiß nicht, wovon es befreit. Ich will es auch gar nicht wissen. Aber dieses befreiende Element muss in der Kunst spürbar sein.
Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
geschehn aus unablässigem Bestreben.
Aléa hat’s hierher gestellt,
und zwar soeben.
Geschrieben: September 7th, 2014 unter Allzupersönliches, mittel
Kommentar von Norbert W. Schlinkert
Datum/Uhrzeit 7. September 2014 um 13:07
Liebe Aléa,
das, was du da über dein Schreiben schreibst, wirkt angesichts der Flut der Nachwuchs-Literaten, die jedes Jahr aus den Schreibschmieden in Leipzig und Hildesheim entlassen werden, fast schon unzeitgemäß, weil in der Tat unvernünftig. Da es mir aber ebenso geht, wir also schon zwei sind, kann es so unvernünftig ja dann doch nicht sein, sich seiner Sache ganz und gar zu widmen, koste es, was es wolle. (Und es kostet!)
Interessant das, was du zum Poetischen schreibst, “vielleicht ist das ominöse, sogenannte Poetische kein ‚Mehr‘, sondern ein ‚Weniger‘ -, das sie zur Literatur macht”, denn so etwas ähnliches schrieb ich in meinem jüngsten Blogartikel auch, nämlich “um der Frage nachzugehen, was Literatur gegenwärtig ist und sein kann, sein könnte, sollte man, zumindest meiner bescheidenen Ansicht nach, sie nunmehr als eine Art Reduktion in unserer schönen neuen Welt wahrnehmen – denn wird nicht unablässig geredet, gequatscht, palavert, getratscht, geklönt (…)?” Das Schreiben als ein Wenigermachen, im Sinne von “Weniger ist mehr”, eine Reduktion auf das buchstäblich Wesentliche, kein Hinzufügen mehr von Überflüssigem, denn davon, von umfassender Weltselberbeschreibung, gibt es ja wirklich genug!
Wie auch immer – auf die Frage, was macht das Schreiben, sollte man immer nur mit einem Wort antworten: “Muss!”