14 August 2014
“There is no gender identity behind the expressions of gender … Identity is performatively constituted by the very ‘expressions’ that are said to be its results“
Mein zweiter Roman Aléas Ich beobachtet eine Person dabei, wie ihre Identität durch das „Ich“-sagen entsteht. Der Roman stellt dabei einige interessante philosophische Fragen – jedenfalls solche, die ich mit meinem beschränkten Autorenhorizöntchen interessant finde -, die in hoffentlich noch interessanteren Geschichten – Autorenhorizöntchen! – eingebettet sind. Diese Umstände sind hier wiederholt zur Sprache gekommen und ich kann und möchte das nicht erneut repetieren oder breittreten. Dazu existiert ein Blog, der ein Vielfaches der im Buch veröffentlichten Textmenge zur Verfügung stellt und in nicht wenigen Punkten darüber hinausgeht.
Es hat zu einigen Irritationen geführt, die meisten davon zustimmend bis begeistert, dass ich die Bedingungen meines Schreibens – die Authentizität des Rumänischen und die Authentizität des Weiblichen – offenbar so gut simulieren / imitieren kann, dass es über viele Jahre unmöglich war, hinter diesen Vorhang zu schauen. Ich finde das gar nicht verwunderlich: Ich identifiziere mich lediglich mit dem, was ich tue und mit der, die das tut. Dies ist der Prozess der Selbstwerdung, den Aléas Ich beschreibt. Wer den Roman gelesen hat, der wird das auch bei sich selbst erkennen können, dass er sich immer auch selbst erfindet, um dann als Erfindende_r mit dem Erfundenen – qua Identifikation – zu einer Einheit zu verschmelzen. Was schon in frühestem Kindesalter zu beobachten ist: kleine Menschen verhalten sich wie Mädchen oder wie Jungen. Das ist nicht weiter verwunderlich: kleine Menschen schauen den großen Menschen nahezu alles ab, warum nicht auch das Verhalten, das ihrem Geschlecht gemäß ist? Und das deswegen als ein gemäßes Verhalten gilt, weil auch die großen Menschen sich das abgeschaut haben als sie noch kleiner waren. Dann haben sie es internalisiert und vergessen, dass es nur ein abgeschautes Verhalten war. Und so halten sie es für ihr ‚eigenes‘, für ihr ‚natürliches‘, von Östrogen oder Testosteron beeinflusstes Verhalten und Empfinden. Sie behaupten dann mitunter, dass das alles angeboren sei und ihr Verhalten eine Abbildung all jener Inschriften sei, die sich im Y- oder Y-Gen verstecke. Säuglinge kann alles erregen, Freud nennt sie „polymorph pervers“. Wenn der Trieb dann in der Pubertät ‚erwacht‘, hat das Individuum seine Rolle bereits so weit gelernt und internalisiert, dass ihn tatsächlich erregt, was ihn laut gesellschaftlicher Konvention und Kodex erregen soll.
Es war kein Skandal, dass das eine Ich ein anderes Ich aus einem fremden Kulturkreis darstellen kann, der dem faktischen Autorensubjekt eigentlich fremd war. Das eine sehende Ich konnte ja auch ein anderes blindes Ich – in Das Geräusch des Werdens – darstellen. Beides war lediglich eine „irgendwie“ literarische Leistung und die zu erbringen ist ja auch der Job eines Autors. Von daher hat er es, wenn es gut gemacht war, eben ‚nur‘ gut gemacht. Ein Skandal hingegen ist es offenbar, wenn ein männliches Ich ein weibliches Ich nicht nur darstellen – also be- oder umschreiben – sondern geradezu verkörpern kann. Ich finde das nicht skandalös. Und es war auch eigentlich keiner! Es haben hier zwei oder drei Leute versucht, daraus einen Skandal zu machen und Profit zu schlagen. Keine seriöse Rezension hat, soweit ich mich erinnere, darauf Bezug genommen.
Meiner Meinung nach gibt es keinen ‚Geschlechtskern‘, es gibt nur den bei manchen ausgeprägt verzweifelten Versuch, das zu sein, was man – er oder sie – als Vertreter ‚seines‘ Geschlechts sein muss. Ich unterstelle, dass wir Individuen sind und die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht lediglich simulieren: es ist das Annehmen einer ‘Rolle’ oder eine ‘Idee’; vielleicht könnte man sogar zum Begriff character greifen. Allerdings muss ich den Einwand gelten lassen, dass wir die ‚Rolle‘, in der wir faktisch existieren, nicht wählen können. Nicht in einer ersten Dimension. Wir können nur in einer zweiten Dimension wählen, sie zu wählen oder sie nicht zu wählen (hier darf man Sören Kierkegaard heraushören, den ich tatsächlich ausgiebig studiert habe, der allerdings nicht gerade als Feminist durchgehen kann). Es gibt immer einen Urgrund Realität, der sich tatsächlich nicht weg- und schon gar nicht hinreden lässt.
Ich habe Kenntnis von einer Dissertation über Hochstapeleien, in denen einer von uns beiden – das erfindende oder das erfundene Ich – einsortiert werden wird. Wobei der Begriff des Hochstaplers hier nicht in seiner pejorativen Variante gemeint ist. Er wird dekonstruiert und in einer anderen, sagen wir ‚Nebenbedeutung‘ erneut aufgebaut: „als eine Praxis der Selbstermächtigung und Selbst-Bildung“. In diesem Zusammenhang kommt es offenbar zu einem Dialog zwischen Judith Butler – von der das diesem Eintrag seinen Titel gebende Zitat stammt – und mir. Hier kann man sich das Abstract von Verena Doerfler anschauen.
Auch ich benutze den Begriff der Simulation, wenn ich sage, dass wir unsere Geschlechtszugehörigkeit simulieren, nicht pejorativ. Dazu ein kleiner Auszug aus meinem derzeit noch unveröffentlichten Essay über Aléas Ich: „Anders als die Repräsentation – die im nachahmenden Abbild das verlorene Urbild zu fassen versucht, und bei Platon vor allem die darstellenden Künstler betrifft – kann die Simulation ein neues Urbild kreieren, indem sie formuliert, was nie gewesen ist. In der Schrift wird das Beschriebene nicht kopiert, sondern kreiert. Was dabei entsteht, sind keine Abbilder, sondern, wie es bei Platon heißt »Trugbilder aus Worten«. Repräsentieren bedeutet, die wahre, hinter der Erscheinung liegende Welt als eine verlorene aufzugeben, simulieren, die eigens erschaffene, falsche Welt als die wahre vorzuspiegeln: »Während Affirmieren nur bejaht, was ist, und Negieren nur verneint, was nicht ist, heißt simulieren, was nicht ist, zu bejahen, und dissimulieren, was ist, zu verneinen« (Friedrich. Kittler, »Fiktion und Simulation«; in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Hg. K. Barck, Leipzig, Reclam, 1990, S. 200). Simulation ist ein gewollter Irrtum, Verstellung, Travestie, ein Enigma, Spiegel-, Traum- oder Trugbild, in dem das Verhältnis von Realem und Imaginärem, von Sein und Schein als einfache binäre Opposition in Frage gestellt wird. Die Simulation ist, anders als das Abbild, das nur wiederholen kann, offen für die Variation, für Vermutungen, Ahnungen und Befürchtungen. Sie ist ein Abbild ohne Urbild, eine Übersetzung ohne Original, wo Authentizität auf Artifizialität beruht. »Das Trugbild umfaßt große Dimensionen, Tiefen und Distanzen, die sich der Verfügung durch den Beobachter entziehen. Und weil sie sich entziehen, verspürt er einen Ähnlichkeitsdruck. Das Trugbild schließt den differentiellen Gesichtspunkt in sich ein; der Beobachter bildet einen Teil des Trugbildes selbst, das sich mit seinem Gesichtspunkt verändert und entstellt. Kurz, es gibt im Trugbild ein Verrückt-werden, ein Unbegrenzt-werden … ein stets Anders-Werden, ein subversives Werden der Tiefen, das dem Gleichförmigen, der Grenze demselben oder dem Ähnlichen auszuweichen vermag: stets zugleich mehr oder weniger, doch niemals gleichmäßig«. (Gilles Deleuze, »Platon und das Trugbild«, in: Logik des Sinns, Frankfurt, Suhrkamp, 1993, S. 316)“
Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
geschehn aus unablässigem Bestreben.
Aléa hat’s hierher gestellt,
und zwar soeben.
Geschrieben: August 14th, 2014 unter "Aléas Ich", lang
Kommentar von DonSilver
Datum/Uhrzeit 29. August 2014 um 20:36
Hallo,
zuerst einmal danke für diesen wunderbaren Eintrag der mich sehr zum Nachdenken angeregt hat. Die Idee der Simulation, wie sie sie darstellen, ist mir wunderbar neu, da ich mich noch nie mit Kierkegaard beschäftigt habe. Das jeder von uns nur eine Simulation der als gegeben geltenden Normen ist klingt in sich so schlüssig, das ich es glauben mag. Zu dieser Ansicht würde es auch passen, das man sich ändern kann, denn immerhin, könnte man es nicht, müsste man annehmen man sei ein Opfer seiner Gene. Auf jeden Fall lohnt sich dieses Thema noch für weitere Betrachtungen.
Indes, läuft ihr Post doch auf die alte Frage hinaus: muss ein Schriftsteller erlebt haben worüber er schreibt oder kann er es sich vorstellen? Reicht Fantasie oder muss jedes Werk auf Wahrem fußen?
Meine Meinung ist, das jedes Werk, durch eine Prise fatastisches ergänzt werden darf, auch ohne dadurch den Anspruch an Ernsthaftigkeit zu verlieren. Wie groß diese Prise sein darf, das hängt vom Autor ab, nicht vom Thema. In dieser Hinsicht möchte ich an “Hundert Jahre Einsamkeit” erinnern, das soviel Fantasie enthält und doch so ernst dabei ist.
Ich hoffe ich konnte hier ein bisschen mithalten und wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Mit freundlichen Grüßen DS