29 August 2013
Kein Nachruf auf Wolfgang Herrndorf
Vor einigen Tagen ist Wolfgang Herrndorf gestorben. Das berührt mich seltsam, obwohl ich ihn nicht kannte. Ich habe kein Buch von ihm gelesen. Ich habe manchmal in sein Blog geschaut. Aber ich wollte ihm, der von seinem unheilbaren Hirntumor berichtete, nicht beim Sterben zusehen. Die Grenzen zwischen Interesse, Neugier, Anteilnahme und Katastrophentourismus sind fließend. Also habe ich wieder weggeschaut. Dennoch verbindet uns einiges. Wir sind im selben Beruf tätig. Wir wohnen nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Und wir haben noch manche andere Gemeinsamkeit.
Er hat offenbar, wie jetzt zu lesen ist, sehr intensiv an seinen Texten gearbeitet. Das tun wir nahezu alle. Wir alle arbeiten mit einem gerüttelt Maß an Besessenheit. Der eine ist besser, der andere schlechter. Der eine ist besser beleumundet. Der eine trifft besser den Geschmack der Massen. Der eine hat mehr Erfolg. Der eine hat mehr Glück. Was sind Millionen verkaufter Bücher wert, wenn man einen Hirntumor hat? Man arbeitet dann, um zu vergessen. Aber tut man das nicht immer? Ist es nicht ein Gerücht, dass Schriftsteller vorwiegend aus der Erinnerung arbeiten? Man arbeitet doch, um die Droge zu schmecken, die das Schreiben dann ist, wenn man eine Begabung dafür mitbekommen hat und eine Droge daraus machen kann. Das ist die Begabung! Alles andere ist bloß Fleiß. Und eben Besessenheit.
Wolfgang Herrdorf sei bescheiden gewesen, habe ich gelesen. Ich glaube, das bin ich auch. Jedenfalls sagt man mir das nach und ich vermute, dass das keine charakterliche Disposition ist, sondern eine Folge der Besessenheit. Man hat keine Energie mehr für andere Dinge. Wenn mir jetzt einer einen Porsche schenken würde: ich wüsste nicht einmal, wo ich den parken sollte. Man will leben um weiterschreiben zu können. Eine Million verkaufter Bücher macht einen reich. Aber wenn es in dem Text, an dem man gerade arbeitet, nicht weitergeht, dann macht es einen krank. Ich kann mir vorstellen, dass mit zum Schlimmsten in seinen letzten Monaten gehört hat, dass er wusste, dass er, wenn es den gegeben haben sollte, seinen aktuellen Text nicht fertigbekommt. Ich glaube, dass viele sich gar nicht vorstellen können, inwieweit man mit seinem eigenen Text zusammenwächst und wie ungeheuer wichtig es ist, dass man den fertigbekommt. Besessenheit heißt: man wird besessen. Und die Bescheidenheit stammt aus dem Wissen darum.
Wolfgang Herrndorf schrieb Literatur, die er Unterhaltungsliteratur nannte. Oder die von anderen so genannt wurde. Und die wahrscheinlich genau das war, unterhaltend und komisch. Und nicht nur unterhaltend. Das ist langweilig. Dass sich ein Buch mehr als eine Million Mal verkauft, ist in der Regel kein Anzeichen von Qualität, sondern von Massenware. Auch wenn sein Debüt gelobt wurde, richtig Erfolg hatte er erst mit Tschick. Da wusste er schon, dass er todkrank ist. Manche sagen, dass er deswegen diesen Erfolg hatte. Das ist das Schlimme am Erfolg: dass man nicht weiß, wo er herkommt. Und schlimm ist auch, dass man das Wissen, das man hat, wenn man erfolglos ist, wieder vergisst: dass Erfolg immer ungerecht ist.
Ich mag keine Nachrufe. Man ist betroffen, ganz ehrlich und aufrichtig. Und dennoch hat diese Betroffenheit immer etwas Falsches. Denn sie braucht ja den Tod des anderen. Sie ist eine Anteilnahme, die dem Lebenden gegenüber nicht erbracht werden kann. Man hätte Wolfgang Herrndorf nicht einfach anrufen können, um mit ihm ein Bier trinken zu gehen und ihm die eigene Anteilnahme zu versichern. Er hätte wohl weder Zeit noch Interesse gehabt.
Da ist einer, der mit Worten umgehen konnte, gestorben. Einer, der sich so artikulieren konnte, dass seine Texte nicht nur die Schriftstellerkollegen schätzten, oder die Germanistikstudenten, sondern die, die lesen, weil sie sich unterhalten wollen. Also eigentlich, wenn wir mal ehrlich sein wollen, die wichtigsten Leser. Und bei aller Unterhaltungswut, die diese Gesellschaft manchmal kenzeichnet, weiß doch jeder, dass er am Ende stirbt und kaum einer kann dauerhaft die Augen davor verschließen. In Wolfgang Herrndorfs Blog konnte man etwas über den Tod erfahren. Über den Tod kann nur der schreiben, der etwas über das Leben schreiben kann. Der Tod lässt sich ja nicht verstehen, der lässt sich nicht einmal erleben. Erleben lässt sich nur das Leben. Es ist legitim in seinem Blog, seinen letzten Hinterlassenschaften, nach Äußerungen zu suchen, die einem die Zerbrechlichkeit des Lebens vor Augen führen. Weil unser Leben zu einem nicht geringen Anteil daraus besteht, gerade das vergessen zu machen.
Anders als Wolfgang Herrndorf erfahren die meisten Schriftsteller kaum Anerkennung. Die Hochachtung, die Schriftstellern entgegenschlägt – sei es als Vorzeigeintelektuelle, als Vorzeigeunterhalter oder als Vorzeigekünstler – schlägt nur dem obersten Prozentsatz entgegen. Den Berühmten. Allen anderen schlägt Ablehnung und Ignoranz entgegen. Aber bei der Art von Hochachtung die Wolfgang Herrndorf jetzt entgegenschlägt wird mir beinahe schlecht. Weil sie die 99 % unter den wenigen Berühmten geradezu verachtet. Die meisten dieser Leute bringen genau das mit, was Herrndorf auch mitbrachte, Arbeitswut und Leidenschaft und Besessenheit. Aber das interessiert keine Sau.
Ich weiß nicht, was aus mir wird. Vielleicht steige ich mit meinen Texten ein wenig nach oben, auf der Beliebtheits- und Aufmerksamkeitsskala. Aber wie hoch ich auch steigen werde, am End esteige ich hinunter. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich darum bitten, wenn ich sterbe, keine Nachrufe auf mich zu verfassen. Ich würde einen Nachruf auf meine Person oder mein Werk als eine Unverschämtheit empfinden. Man kann sich für mich, also mein Schreiben, interessieren solange ich lebe. Auch wenn manche genau auf diese Karte setzen – endlich tot, dafür aber im Literaturkanon zwei Pläze nach oben gerutscht – : ich verbitte mir das!
Zum ersten Mal verstehe ich Kafkas Impuls und Vermächtnis, die eigenen Schriften nach dem Tod aus der Welt wissen zu wollen. So wie man selbst hinaus musste. Einfach nichts hier zu lassen, über das dann irgendwelche Leute etwas sagen können, was sie sich nicht zu sagen getraut hätten, wenn man noch am Leben wäre. Selbst wenn es nur positive Dinge sind.
Wolfgang Herrndorf hat sich offenbar umgebracht. Eine Tat, für die ich gleichermaßen Bewunderung wie Abscheu empfinde. Aber sich eine letzte Handlungsfreiheit zu bewahren, das ist eine menschliche Tat. Er hat sich an einem Kanal erschossen, war zu lesen, gegen 23.15 Uhr. Ich bin zu der Zeit wahrscheinlich gerade ins Bett gegangen. Einen Steinwurf von Wolfgang Herrndorf entfernt.
Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
geschehn aus unablässigem Bestreben.
Aléa hat’s hierher gestellt,
und zwar soeben.
Geschrieben: August 29th, 2013 unter Allzupersönliches, Auf dem Fischmarkt, voluminös
Kommentar von NO
Datum/Uhrzeit 4. September 2013 um 09:32
Find` ich gut – wie wir Jüngeren aus der Facebook-Generation sagen.
Beste Grüße
NO