25 Februar 2012
Der Atlas des Westens V
Das ist jetzt meine letzte Bemerkung zu der Auseinandersetzung mit dem Text von Daniele Del Giudice. Ich habe das schon einmal an anderer Stelle gesagt. Da wollte das keiner hören. Deswegen sage ich es jetzt noch einmal. Ich wiederhole das so lange, bis man mir endlich Gehör schenkt oder mir widerspricht: Die Bilder der Physiker – vom Universum und dem ganzen Rest – sind sehr schöne, in erster Linie allerdings poetische Bilder. Wir visualisieren die Umstände, um sie uns vorstellen zu können. Aber was wir uns vorstellen können, ist nicht die Wahrheit über das, was da draußen wirklich ist. Es ist die Wahrheit über das, was wir uns vorstellen.
Meine Vermutung zu dieser Teilchen-Physik ist: diese Leute sind auf der Suche nach einem Bild und nicht nach einem Ereignis. Oder in den Worten, die wir hier bereits hatten: unter den Worten verbergen sich die Bilder.
Wenn auch nicht jede Zeile gleich erhellt:
geschehn aus unablässigem Bestreben.
Aléa hat’s hierher gestellt,
und zwar soeben.
Geschrieben: Februar 25th, 2012 unter - Del Giudice, Daniele : Atlas des Westens, kurz
Kommentar von Alice
Datum/Uhrzeit 25. Februar 2012 um 13:38
Liebe Aléa,
ich möchte Ihnen mit zwei Zitaten antworten. Es geht darin um die Subjektivität und Zirkularität von Erkenntnisprozessen. Die chilenischen Autoren Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela stehen in der Nachfolge von Wittgenstein, Bateson und Luhmann.
“Wir sind aufgefordert, unsere alltäglichen Einstellungen beiseite zu legen und aufzuhören, unsere Erfahrung als versehen mit dem Siegel der Unanzweifelbarkeit zu betrachten – so als würde sie eine absolute Welt widerspiegeln. In diesem Sinne werden wir ständig festzustellen haben, dass man das Phänomen des Erkennens nicht so auffassen kann, als gäbe es “Tatsachen” und Objekte “da draußen”, die man nur aufzugreifen und in den Kopf hineinzutun habe. (…) Die Erfahrung von jedem Ding “da draußen” wird auf eine spezifische Weise durch die menschliche Struktur konfiguriert, welche “das Ding” das, in der Beschreibung entsteht, erst möglich macht. Diese Zirkularität, diese Verkettung von Handlung und Erfahrung, diese Untrennbarkeit einer bestimmten Art zu sein von der Art, wie die Welt uns erscheint, sagt uns, dass jeder Akt des Erkennens eine Welt hervorbringt.”
in: Humberto R. Marurana; Francisco J. Varela: Der Baum der Erkenntnis. Bern und München, 1987, S.31
Natürlich stellt sich hier die Frage, wie es in einer Welt ohne festen Bezugspunkt, in einer Welt, die wir über Kommunikation immer wieder neu hervorbringen, möglich sein kann, allgemeine Aussagen über Wahrheit, Ethik, Moral zu treffen.
Die Autoren machen dazu zum Ende ihres Buches folgende Aussage, in meinem Verständnis als Türöffner zur weiteren und vertiefenden Reflexion:
“Alles menschliche Tun findet in der Sprache statt. Jede Handlung in der Sprache bringt eine Welt hervor, die mit anderen im Vollzug der Koexistenz geschaffen wird und das hervorbringt, was das Menschliche ist. So hat alles menschliche Tun eine ethische Bedeutung, denn es ist ein Tun, das dazu beiträgt, die menschliche Welt zu erzeugen. Diese Verknüpfung der Menschen miteinander ist letztlich die Grundlage aller Ethik als eine Reflexion über die Berechtigung der Anwesenheit des anderen.” a.a.O. S. 265
Zum Stichwort “visualisieren” möchte ich noch auf das Phänomen des “blinden Flecks” hinweisen, das mit der biologischen Beschaffenheit unseres Auges zu tun hat: Dort, wo der Sehnerv aus der Netzhaut austritt, befinden sich keine Sehnzellen, wir sehen dort also nichts. Diese “visuellen Löcher” nehmen wir aber nicht wahr. Wir bilden uns ein, “das Ganze” zu sehen.
Mit herzlichem Gruß,
Alice